Mittwoch, 26. Dezember 2018

Allerlei Geschlechter-Ambivalenzen

In seinen Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie nimmt Freud die für den heutigen Feminismus und die Gender-Theorie so wichtige Unterteilung von biologischem und soziologischem Geschlecht vorweg und ergänzt es sogar noch darum, dass er eine dritte Kategorie hinzunimmt, die er Aktivität/Passivität nennt - und die, so merkt er sinngemäß an, der schwammige Begriff Geschlecht, wie er allgemeinhin verwendet wird, alle als eins ansehen wollen. So weit, so sehr gut.
In Einige psychische Folgen des anatomische Geschlechtsunterschieds, einem relativ kurzen Aufsatz von 1925, schreibt er:  "daß alle menschlichen Individuen infolge ihrer bisexuellen Anlange und der gekreuzten Vererbung männliche und weibliche Charaktere in sich vereinigen, so daß reine Männlichkeit und Weiblichkeit theoretische Konstruktionen bleiben mit ungesichertem Inhalt." So weit, so wunderbar.

Dennoch zeigt besagter Aufsatz auch sehr exemplarisch einen anderen Freud, der patriarchal und - mehr oder minder latent, aber eigentlich nicht allzu sehr - auch misogyn ist. Ich denke, dass dabei der Zusammenhang zwischen Freuds Auffassung, dass das Mädchen "kastriert" sei, ein Mangel-Wesen also, die er dem Mädchen selbst zuschreibt, was ich allerdings für nichts weiter als eine Projektion halte: nicht sie, sondern er hält sie für kastriert, mit tendenziell ablehnenden Einstellungen gegenüber dem weiblichen Geschlecht einhergeht. So meint er durch seine Theorien gewisse "Charakterzüge",  erklären zu können, "die die Kritik seit jeher dem Weibe vorgehalten hat, daß es weniger Rechtsgefühl zeigt als der Mann, weniger Neigung zur Unterwerfung unter die großen Notwendigkeiten des Lebens, sich öfter in seinen Entscheidungen von zärtlichen und feindseligen Gefühlen leiten läßt." Er fühlt sich auch dazu veranlasst, sich gleich im nächsten Satz gegen die "Feministen" zu verteidigen, "die uns eine völlige Gleichstellung und Gleichschätzung der Geschlechter aufdrängen wollen".

Sicherlich ist das, was an dieser Stelle von Freud bleibt, dass er die Geschlechter als ambivalent und nicht natürliche Gegebenheiten sah, letztlich wichtiger als seine Privat-Misogynie. Auch muss ich der Fairness halber sagen, dass er seine Aussage durch die von mir zuerst zitierte Aussage, die im Text auf die folgt, die ich danach zitierte, noch erheblich abschwächt. Aber dennoch: es bleiben auch hier Ambivalenzen. Denn der kurze Aufsatz zeigt exemplarisch, wie eine Auffassung, die ein Geschlecht nur als Mangel, nur in seiner Abweichung von dem anderen zu begreifen vermag, dieses letztlich dann auch geringschätzen muss.

Ach, Ambivalenz!

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