Dienstag, 25. Dezember 2018

Ödipus für Fortgeschrittene im Film "Y tu mamá también" (Regie Alfonso Cuarón, Mexiko, USA 2001)

Szene aus "Y tu mamá también", Copyright: Criterion

Zwei jugendliche Kinder (das eine lutscht seinen Lolli, das andere isst Schokolade) und eine Frau auf dem Weg zum Strand an der mexikanischen Pazifik-Küste. Die beiden sind Mexikaner, sie ist Spanerin, stammt also aus dem "Mutterland" der einstigen Kolonie. Später dann die vielfache Dekonstruktion machistischer Männlichkeit. Zuerst hat der eine Junge Sex mit ihr. Im Anblick der Sexualität der viel erfahreneren Frau wird er endgültig zum verstörten Kind, das keine Ahnung hat, was es da tut. Wenn er - viel zu früh - kommt, ruft er dabei erregt aus: "Mamacita", ein Diminutiv des Wortes Mamá, das im lateinamerikanischen Spanisch das gängige Wort für Mutter ist. Die Frau kann sich eines kleinen wissenden Lachens nicht erwehren. 

Der andere, der das mitbekam, empfindet ödipale Eifersucht: sein Freund hat mit der "Mutter" geschlafen, er nicht. Die Frau kennt nur ein Mittel, um die Spannungen zwischen den beiden Freunden, die nun erbitterte Rivalen um die sexuelle Gunst der "Mutter" werden, auszugleichen: sie schläft nun auch mit dem anderen, der sich dabei kaum geschickter und, nun ja, "standhafter" anstellt. Die Frau, die von Anfang an geschickt mit dem Begehren der beiden Jugendlichen spielte, die sie natürlich mit sexuellen Hintergedanken auf einen Trip zu einem erfundenen Strand namens Boca del cielo (dt.: "Mund des Himmels" bedarf dieser Phantasiename an dieser Stelle noch eines weiteren Kommentars?) mitnahmen, blickt nun etwas genervt, als auch er nach ca. dreißig Sekunden, den Kopf zwischen ihren Brüsten, zum Orgasmus gelangt. Doch es gibt da noch ein kleines Detail: die Reise führt letztlich tatsächlich an einen Strand, der den Namen Boca del Cielo trägt, von dessen Existenz die beiden Jugendliche nichts wussten. Die vaginalen Konnotationen des ausgedachten Namens, der sich später in der Realität manifestiert, machen die Geschichte zu der über eine Erfüllung einer Ödipus-Phantasie, bei der ihr Weg zurück in den Mutterleib führt, in dem Freud den Ausgangspunkt aller Paradiesvorstellungen, aller, so schreibt er wörtlich "religiösen Gefühle" sah. 

Die Auflösung des Beziehungsdreiecks ist dann eigentlich eine utopische, weil sie sowohl heteronormative als auch monogame Zwänge vorübergehend außer Kraft setzt: es kommt, nach ausgiebigstem Alkoholkonsum, zu einem Dreier, wobei entscheidend ist, dass der Film diese aus der Hetero-Mainstream-Pornographie redlich bekannte Phantasie bisexuell auflöst. Wo die Jugendlichen nun keine erbitterten Rivalen mehr um die Gunst der "Mutter" sind, sondern sie sich - und einander - einfach teilen, manifestiert sich dieser Moment sexueller Freiheit nicht zuletzt darin, dass sie ihr Begehren nun wesentlich weniger ungestüm, lustvoller, sinnlicher ausleben können als zuvor.

Doch das homophobe Über-Ich einer machistischen Gesellschaft ist stärker. Lieber sehen sich zwei langjährige Freunde nie wieder, als sich einzugestehen, dass sie auch queeres Begehren in sich tragen  - und sich (nochmal) die Freiheit zu geben, es auszuleben. Die Jugend (Kindheit) ist vorbei, das bedeutet hier: dass das patriarchale Gesetz, dessen schärfste Waffe die Kastrationsdrohung ist, endgültig in Kraft tritt: kein Ödipus mehr und keine Homosexualität. Das heißt hier auch: keine Möglichkeit mehr seine Träume zu leben, seine Phantasien Wirklichkeit werden zu lassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen