„Ich
glaubte immer, dass die Welt rund sei; die Obrigkeiten
und Erfahrungen des Ptolomäus und aller anderen, die über dieses
Thema geschrieben haben, gaben als Beweise die Mondfinsternis und
andere Indizien von Osten bis Westen, wie etwa die Erhöhung des
Nordpols im Südwind. Doch jetzt habe ich so viele Verformungen
gesehen, dass ich,
wenn
ich an sie denke, nicht mehr glaube, dass die Welt rund ist, wie sie
es beschrieben haben, sondern die Form einer
Birne hat, die
rund wäre, außer dort, wo sie den Stiel
oder den höchsten Punkt hat;
oder wie ein runder Ball, der
etwas wie eine
Frauenbrust an der Stelle hätte, wo sich das Land am höchsten
erhebt und dem Himmel am nächsten ist. In dieser Region unter der
Äquinallinie,
im ozeanischen Meer, wo alle Länder und Inseln aufhören.
Diese
Annahme beruht auf meiner Kenntnis der Tierra de Gracia, des Flusses
und Sees, die ich dort entdeckte, so groß, dass man ihn
eher Meer als See nennen sollte, denn ein See ist ein Ort aus
Wasser, und wenn er groß ist, nennt man ihn Meer, weswegen man
die
von Galilea und al
Muerto
so nennt. Und ich sage, dass dieser Fluss nicht vom irdischen
Paradies herkommt, sondern er entspringt und kommt aus unendlichen
Ländern, vom südlichen Kontinent, von dem man bisher nichts wusste;
doch ich bin mir sehr sicher, dass sich dort, wo ich es sagte, in
Tierra de Gracia, das irdische Paradies befindet.“
Christoph Kolumbus
(1451-1506, genuesischer Seefahrer. Er und die Besatzungen seiner
Schiffe verirrten sich 1492 als vermutlich erste Europäer auf kleine
Teile des Kontinents, der später nach dem florentinischen Seefahrer
Amerigo Vespucci (1451-1512) benannt wurde. Damit legten sie den
Grundstein für die Unterwerfung, Ausbeutung und Vernichtung der hier
seit Urzeiten ansässigen Menschen und ihrer – teilweise „hoch
entwickelten“ - Kulturen durch andere Europäer. Von seinem
Nachnamen – auf Spanisch: Colón – rührt das Wort Kolonialismus
her.) in einem Brief an die Spanische Krone von seiner dritten
Karibikreise (1498-1500, Übersetzung von mir)
Der Blick des
Kolumbus, der Amerika natürlich nicht „entdeckte“, wie es ein
bis heute viel zu oft kolportiertes eurozentristisches Narrativ
unhinterfragt behauptet, weil hier schon seit vielen Jahrtausenden
andere, nicht-europäische Menschen lebten, ist in vielerlei Hinsicht
bezeichnend für den Blick des Eroberers und Kolonialisten auf fremde
Länder. Tierra de Gracia nennt er einen Landstrich im heutigen
Venezuela, dessen immense Ausbreitung in Richtung Süden er – wenn
auch wahrscheinlich aus einer Mischung aus Wunschdenken und Intuition
heraus – schon ganz richtig einschätzte. Dem Sinne nach, wie er es
wohl gemeint hat, bedeutet das „Land der Gnade“. Doch es
erscheint mir wichtig darauf hinzuweisen, dass das Wort „gracia“
wohl auch schon im Spanischen am Ende des 15. Jahrhunderts
verschiedene Bedeutungen hatte, nämlich außerdem unter anderem:
„Liebreiz“, „Lieblichkeit“ oder „Anmut“. Alles Attribute,
die in patriarchalen Geschlechterrollen mit Weiblichkeit verbunden
sind. Man denke hier auch an die „Maria voll der Gnade“ aus dem
Gebet, deren Funktion letztlich nur darin besteht, den Messias zu
gebären: „die Frucht deines Leibes, Jesus“ und deren Namen auch
eines der drei Schiffe von Kolumbus erster Expedition trug – was
wiederum auf die Aufgabe der Frau verweist – und sei sie auch noch
so „gebenedeit … unter den Frauen“ - dem Mann sehr buchstäblich
zu dienen, sie zum bloßen Werkzeug seines Entdecker- und
Eroberer-Triebs macht.
(Die anderen beiden Schiffe hießen übrigens "Niña" ("Mädchen") und "Pinta" ("Oberfläche"). Der Seefahrer wird zum Patriarchen, der über eine Flotte aus (Gottes)Mutter, Tochter und (Erd)Oberfläche - also "Natur" - gebietet. Sparen wir es uns an dieser Stelle daraufhinzuweisen, was die - wie er selbst entschuldigend einräumte - sehr stereotype Symbolentschlüsselung der Freud'schen Traumdeutung zu der Angewohnheit der Männer sagen würde, ihren Schiffen Frauennamen zu geben.)
Natürlich
verdichtet sich das im obigen Zitat in dem Bild der Erde wahlweise
als Birne oder als Ball mit Frauenbrust, wobei das spanische Wort
„pezón“ heute tatsächlich sowohl eine Brustwarze als auch den
Stiel einer Frucht bezeichnen kann; ob das schon zu Kolumbus‘
Zeiten so war, ist schwer nachzuvollziehen, der Original-Wortlaut des
Zitats legt aber eher nahe, dass es sich um eine interessante
sprachliche Verschiebung in den letzten Jahrhunderten handelt: vom
Stiel auf die Brustwarze, die schon einer ihrer Funktionen nach auf
Mütterlichkeit verweist, dabei sei auch nochmals an die
„Leibesfrucht“ aus dem „Ave Maria“ erinnert (natürlich
sollte auch berücksichtigt werden, dass der polyglotte Seefahrer
nicht in seiner Muttersprache schrieb, und sich deshalb der
Doppeldeutigkeit des Wortes nicht bewusst gewesen sein könnte).
Die fremde Erde als
Frau wird durch die Verschränkung von Birne und weiblicher Brust
zunächst verdoppelt – im Sinne der Gleichsetzung von Frau und
Natur – und bekommt dann noch eine weitere Komponente: die fremden
Länder als eine Frucht, die vom männlichen europäischen Eroberer
gepflückt werden will – wobei es wiederum wichtig ist anzumerken,
dass das spanische Wort „conquistar“ sich heute ähnlich wie im
Deutschen auch auf sexuelle „Eroberungen“ beziehen kann. Die
Verschränkung von Natur/Frau/Mütterlichkeit macht den „Entdecker“
damit gleichermaßen zum Subjekt von Blick und Penetration, dessen
Samen benötigt wird - bleiben wir im Maria-Bild ist es ein göttlicher
- , damit aus den „jungfräulich“ vor ihm liegenden Ländern
etwas entstehen, geboren werden kann. Und das Recht, den „entdeckten“
Ländern einen Namen zu geben, ist dann auch das des Vaters, der sein
Kind benennt – hierbei sei auch an das Bild des Balles erinnert,
das einen Bezug zu Kindlichkeit herstellt. Schließlich sei bei der
Benennung des Kontinents durch die Europäer in diesem Kontext auch
die Verschiebung von der im Spanischen und Italienischen meist für
männliche Namen und Substantive verwendeten Endung -o auf die meist
weibliche -a verwiesen, vom Mann Amerigo auf das weibliche América.
Auch an dieser Stelle geht die Rede von einer „Neuen Welt“
natürlich den Dichotomien aus Mann/Frau, Kolonialist/kolonisierte
Länder, männlichem Erzeuger/Jungfrau in all ihrer infamen Logik auf
den Leim.
Und auf diesem Land
voll der Gnaden soll sich dann schließlich also auch noch das
Paradies auf Erden befinden, das wiederum nur darauf wartet, so darf
man wohl annehmen, vom irdischen Manneswesen entdeckt und kolonisiert
zu werden. Muss hier zum Abschluss noch an die immense Bedeutung für
das spätere Seelenleben des Menschen, die die Psychoanalyse dem
Aufenthalt im Mutterleib und der Stillzeit beimisst (nach Freud
nehmen alle religiösen Vorstellungen und „Gefühle“ hier ihren
Ausgang und Otto Rank schrieb 1924 ein Buch über „Das Trauma der
Geburt“), um zumindest gut begründet mutmaßen zu dürfen, welche
Phantasie sich hinter der ausnehmend bizarren Metaphorik unseres
Colón-ialisten versteckt?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen