Freitag, 18. Januar 2019

Kolumbus, ich und wie die Welt wurde, was sie heute ist Teil 2: Psychoanalyse

Und wenn mit Kolumbus erster Irrfahrt über den Atlantik 1492 die neuzeitlichen Gemetzel begannen, dann ist es bezeichnend, dass er auf seiner vierten und letzten Reise (1502-1504) wenige Jahre vor seinem Tod einmal lapidar, vielleicht auch resigniert feststellte: „Die Welt ist klein.“ Denn dieser Satz aus seiner Feder ist als sich selbsterfüllende Prophezeiung sein Vermächtnis an die Menschheit nach ihm, sorgte die Erkenntnis unserer europäischen Vorfahren, wie groß die Welt tatsächlich ist, doch dafür, dass sie sie nun als Ganzes klein machen konnten, indem sie sie einem einzigen mörderischen System unterwarfen: der Hegemonie des Geldes. Die Herkunft des Wortes „Kolonialismus“, das auf seinen spanischen Nachnamen Colón zurückgeht, ist hier deshalb hilfreich, weil es schon vorm ausgehenden Fünfzehnten Jahrhundert imperialistische Riesenreiche in verschiedenen Ecken der Welt gab, z. B das der Inka in Südamerika, deren Dynastie zeitweise unzählige verschiedene ethnische Gruppen auf einem Gebiet unterwarf, dass sich über den größten Teil Südamerikas erstreckte, und doch markiert das Jahr 1492 eben den Beginn der Eroberung fast der gesamten restlichen Welt durch Europa. 

Dabei spiegelt sich die globale Unterjochung der Vielen durch die Wenigen bis heute im Kleineren und Kleinsten: in faschistischen und möchtegern-kommunistischen Schurken-Staaten und -Reichen ebenso wie in – wenn auch in vielfacher Weise abgemildert – demokratischen Nationalstaaten, in jedem größeren kapitalistischen Unternehmen genauso wie in der patriarchal organisierten Familie. Immer gilt es dabei zu berücksichtigen, was Horkheimer und Adorno schrieben: „Die Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie die Macht ausüben.“ Und: „Nicht bloß mit der Entfremdung von dem beherrschten Objekt wird für die Herrschaft bezahlt: Mit der Versachlichung des Geistes wurden die Beziehungen der Menschen selber verhext, auch die jedes einzelnen zu sich.“ Immer wieder gilt es der Worte Georg Christoph Lichtenbergs zu Gedenken, mit denen er bereits im Achtzehnten Jahrhundert das Narrativ von der „Entdeckung Amerikas“ in all seiner eurozentristischen Arroganz auf den Kopf stellte und in deren Spott so viel Wahrheit liegt: „Der Amerikaner, der Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung.“

Es scheint mir an dieser Stelle unerlässlich, diesen Exkurs unter Zuhilfenahme der Psychoanalyse noch etwas auszuweiten, um schließlich auf mich zurückkommen zu können. Die Mutter aller Ressentiments – aus denen dann all die menschenfeindlichen -ismen mitsamt ihrer gewalttätigen Auswüchse bis hin zum Genozid entstehen können – ist die Angst. Nach Freud ist diese dem Menschen etwas sehr buchstäblich angeborenes, nimmt sie doch ihren Ausgang seiner Ansicht nach nicht nur etymologisch – das lateinische Wort „angustiae“ bedeutet „Enge“ oder „Engpass“ - beim Weg durch den Geburtskanal. Gleichzeitig bezieht sich alle Angst auf das Unbekannten, dessen reinste Essenz der Tod ist. Kehren wir ein letztes Mal zu unserem genuesischen Seefahrer zurück, der in seinem „Ersten Brief aus der Neuen Welt“ die Spanische Krone davon in Kenntnis setzte, dass er den Berichten der Menschen auf den von ihm „entdeckten“ Inseln entnehmen könne, dass es auf einer davon, Cariba, Menschen gäbe, die Caniba oder Canima, die menschliches Fleisch verzehren würden.

Daraus ging nicht nur das Wort „Kannibalen“ hervor, sondern zugleich die neuzeitlichen Vorstellungen von ihnen bis in die westliche Populärkultur des Zwanzigsten Jahrhunderts (aber mindestens in reflektierter „ironischer“ Form bis in unsere Gegenwart); im in den späten Siebziger und Achtziger Jahren florierenden Exploitation-Genre des Kannibalenfilms, in dem westliche Menschen in entlegenen und unerforschten Urwäldern der Welt Gefahr laufen, von indigenen Stämmen aufgefressen zu werden oder der Darstellung von „Wilden“ mit Lendenschurz und Knochen im Haar, die sich in ihren Kesseln humane Mahlzeiten zubereiten in früheren Cartoons. Dabei findet sich das Unbekannte, das Ausmaß der Alterität im Hinblick auf die Menschenfresser, nicht zuletzt dadurch markiert, dass man von Anbeginn an – doch auch das setzt sich wohl teilweise bis heute fort – von ihrer Existenz immer nur aus zweiter Hand, vom Hörensagen weiß. Da die InsulanerInnen Kolumbus aber aufgrund der Sprachbarriere weder das noch irgendetwas anderes berichten konnten, darf gemutmaßt werden, dass sie ein Produkt seiner Phantasie waren.

Otto Rank schrieb 1924 unter anderem auf Freuds Überlegungen zur Entstehung der Angst aufbauend ein Buch über „Das Trauma der Geburt und seine Bedeutung für die Psychoanalyse“. Einen Beleg seiner These, dass aller Eros letztlich danach trachte, in den Mutterleib zurückzukehren und somit eine Art Ur-Symbiose wiederherzustellen, fand er im Mythos in Platons „Das Gastmahl“ (4. Jahrhundert v. Chr.), der besagt, dass die Menschen ursprünglich ein kugelrundes „männlich-weibliches“ Geschöpf gewesen seien, die zur Strafe für ihre Auflehnung gegen die Götter in zwei Hälften geschnitten und dabei zugleich in Männer und Frauen unterteilt wurden. Alle sexuelle Begegnung sei danach der Versuch „eins aus zweien zu machen und die menschliche Natur zu heilen.“ Der Tod dadurch, von den Fremden aufgefressen zu werden, somit zugleich ganz direkt in einen menschlichen Leib zurückzukehren und die Ur-Trennung von Subjekt und Objekt aufzuheben, wird dann nicht nur als eine Phantasie lesbar, in der sich Angst und Lust, Todestrieb (oder auch Todessehnsucht) und Libido vermengen, sondern vielleicht spricht aus dieser dann auch die unbewusste – in Aggression verkehrte und auf das Gegenüber projizierte – Sehnsucht, sich mit den Fremden verbinden zu können, denen die kastilischen Schiffe letztlich Versklavung, Assimilierung und Tod brachten.

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