Sonntag, 27. Januar 2019

Ein paar weiterführende Gedanken zum Gendering als Gewaltakt: von "Okami" zu "Thirteen"

Hier habe ich aufgezeigt, wie im ersten Teil der Okami-Reihe der Akt des Gendering, der Festlegung einer Person auf ein Geschlecht im Rahmen einer Ordnung, die nur zwei Geschlechter kennt, filmisch als Gewaltakt verbildlicht wird, indem ein Kleinkind von seinem Vater vor eine so einfache wie grausame Entscheidung gestellt wird: sei ein Mann oder stirb. In einer Review zu Catherine Hardwickes Meisterwerk Thirteen habe ich mir ein paar weitere Gedanken zum Akt des Gendering gemacht. Wenn Freud zwischen dem Ödipus-Mythos und Shakespeares Hamlet 2500 Jahre fortschreitender Zivilisation bzw. Sublimierung im Hinblick auf die kindliche Strukturierung des Begehrens sah - den unbewussten Wunsch, den Vater zu töten, um an seine Stelle bei der Mutter zu treten, die er, das sei hier nur ganz kurz angemerkt, auf sehr problematische Weise verallgemeinerte - dann kann man vielleicht sagen, dass ähnliches im Hinblick auf die beiden Filme gilt, die 1971 und 2003 entstanden. Genauer: was sich vom einen zum anderen Film verändert hat, ist, dass das Subjekt des Gendering in Okami ein äußeres ist, in Thirteen hingegen geht es um die verinnerlichte Vorstellung dessen, wie eine Frau auszusehen, was sie zu sein hat.

Szene aus "Okami" (Copyright: Rapid Eye Movies)

Die Pointe der Gegenüberstellung ist wahrscheinlich, dass der Gewaltakt damit um nichts weniger brutal wird. Wo sich das Baby in Okami für das Schwert, also den Phallus, entscheiden oder - wir dürfen wohl annehmen durch ebenjenes Schwert - sterben muss, gucken wir in Thirteen anderthalb Stunden zwei dreizehnjährigen Mädchen in ihrer Borderline-Version von teenage rebelion - die Persönlichkeitsstruktur ist dabei nicht zuletzt entscheidend, um den vollkommenen Exzess ihres Tuns zu erklären - physisch schinden, um einem bestimmten Bild von Weiblichkeit zu entsprechen. "Wer schön sein will, muss leiden", sagt das Sprichwort - und der Film denkt das in aller denkbaren Härte weiter. Wenn frau schön und - vor allem - sexy sein will, bedeutet das, dass sie sich unentwegt physisches Leid zufügen muss: durch Hungern, durch eiskaltes Wasser im Magen, das die Kalorienverbrennung anregt und durch eiskalte Löffel im Gesicht, damit ja niemand die Folgen der Drogenexzesse sieht. Durch die Perforierung von Körperstellen und -teilen mit Nadeln. Welchen Sinn macht es bei all dem noch, sich dann mit der Nagelschere in die Beine zu stechen oder sich mit der Rasierklinge in die Arme zu schneiden? Tja, dass das einen Schmerz verursacht, der nicht gesellschaftlich durch vorgegebene Schönheitsbilder sanktioniert ist. Der Schmerz darüber, dem Bild nicht genügen zu können, niemals schön oder schlank genug zu sein - oder auch: die bittere Erkenntnis, dass all das sicherlich nicht glücklich macht - wird wiederum am eigenen Körper ausgelassen, der nun auf eine unmittelbarere Weise dafür bestraft wird, nicht genug sein zu können.

Szene aus "Thirteen" (Copyright: 20th Century Fox)
Psychoanalytisch gesprochen ist das, was zwischen den beiden Filmen liegt, eine Introjektion: aus dem Vater mit dem Schwert wird eine - nicht minder brutale - Instanz in der eigenen Psyche, wenn man mit Freud sprechen will, im Über-Ich, die sagt, dass eine Frau so und so auszusehen habe. Die Introjektion macht eine Unterscheidung von Subjekt und Objekt an dieser Stelle schwierig bis unmöglich. Denn das gegenderte weibliche Subjekt im Film ist eines, das im Gewaltakt des Genderings, zugleich den eigenen Körper zum Objekt macht, dem die Gewalt angetan wird. Butlers Anmerkung, dass es in der Tat Gender keine*n Täter*in gibt, der ihr vorausgeht, weil Gender eben nichts naturgegebenes ist, sondern etwas das sozial und diskursiv konstruiert ist, ohne dass sich dabei ein konkreter Ursprung der Rollenzuschreibungen ausmachen ließe, ist sicherlich wichtig und richtig. In der Art aber, wie die ins Ich introjizierte Geschlechtervorstellung durch die eigene Gender-Performanz dazu führt, dass sich die Mädchen immer weiter Gewalt antun, werden Täterin und Opfer eins. Man könnte auch sagen: Wer schön sein will, muss sich selbst Leiden machen.

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