Freitag, 4. Januar 2019

Mörderisches (Zwangs)Hetero-"Glück" im Film "Both Ways" (Jerry Douglas, USA 1975)

Ich halte normalerweise rein gar nichts von Spoiler-Warnungen, aber "Both Ways" ist der seltene Glücksfall von einem Film, dessen Erleben wohl wesentlich intensiver ist, wenn man den Handlungsverlauf nicht kennt. Sollte jemand vorhaben, ihn sich anzusehen, wäre es besser, diesen Text erst hinterher zu lesen. Tut es! Es lohnt sich!

Um die Sache mit der, nun ja, Filmkritik aus dem Weg zu bekommen: Ein phantastischer Film. Und ein wunderschöner. Sanft swingend im Erzählduktus, formal avantgardistisch verspielt. Aber dabei auch immer wieder wunderbar witzig. Manchmal auch recht fies und gerade der schockierende letzte Plot Twist funktioniert auch in Genre-Hinsicht ausgezeichnet. Ein Film, der es durch und durch gut meint mit den Menschen, aber gerade deshalb auch weiß, dass man es ihnen niemals zu einfach machen darf, ehrlich mit ihnen sein muss, auch wenn es weh tut. Und dann aber auch: sehr, sehr heiß und sexy! Was will man von einem (Porno)Film mehr erwarten?

Worum geht es? Zu Beginn: Papa, Mama und Kind im Mittelschichtsfamilienglück: Rummelplatz, Riesenrad, Luftballons, die in den Himmel steigen (wenn der Film die Einstellung mit den Ballons am Ende wiederholt, um seinen visuellen Rahmen zu schließen, werden sie aussehen wie Spermien, wie ein Ausdruck eines unerfüllten Begehrens, das sich in den Himmel verflüchtigen muss, weil es auf dieser Erde keine Erfüllung finden kann - oder auch einfach nur: weil der Protagonist sich nicht zugesteht, zu seinem bisexuellen Begehren zu stehen).

Denn Papa merkt, dass er auch auf Männer steht. Geht auch bald eine Affäre mit einem Mann ein, die zunächst - von seinem Geliebten aus - unverbindlich bleiben soll. Doch was lässt sich schon planen, wenn es um Sex und Liebe geht? Also entsteht daraus ein heimliches Beziehungsdreieck. Die Ehefrau ahnt es, wäre vermutlich auch progressiv genug eingestellt, damit sichs eine verträgliche Lösung finden ließe. Doch es ist der Mann selbst, der nicht zu seinen queeren Anteilen stehen will. Einmal gibt es eine - wie alle Sexszenen in diesem Film wunderbar sinnlich und verspielt gefilmte und geschnittene - Orgie, in der es mehrere Männer und Frauen miteinander treiben. Doch nur in heterosexuellen Konstellationen. Das ein Mann einem anderen einen bläst, bleibt tabu, muss unterbunden werden. Die Grenze der "Befreiung" der Sexualität ist hier keine äußere, sondern eine innere. Es geht nicht darum, ob etwas die anderen stören würde, sondern darum, es sich selbst (nicht) eingestehen zu können.

Der Liebhaber hat aber irgendwann keine Lust mehr, sich verstecken zu lassen (müssen). Ihm geht es nicht um die Wahl der Sexualobjekte als übergeordnetes Thema, sondern einzig und allein darum, dass sich der Familienvater zwischen zwei Menschen entscheidet. Er wird dabei auch fordernder, obsessiver. Die Dynamik spitzt sich zu. Schließlich erschlägt der Familienvater den Liebhaber im Affekt mit einem Bierkrug. Ist zunächst ratlos, was er tun soll, beschließt dann aber schnell, die Leiche verschwinden zu lassen. Und mit ihr alle Beweise für sein bisexuelles Begehren - aber auch alle Möglichkeiten, es auszuleben.

Adorno schreibt in einem Aphorismus in der MINMIMA MORALIA, in dem es um Geschlechterverhältnisse geht: "Keine Emanzipation ohne die der Gesellschaft." Das stimmte 1944 in den USA und stimmt bis heute überall auf der Welt. Und dennoch ist es interessant, dass Douglas' Film, 31 Jahre später, von einer Konstellation erzählt, in der es um das genaue Gegenteil geht: Nicht die Gesellschaft einer liberalen und experimentierfreudigen Mittelschicht verunmöglicht die Erfüllung privaten sexuellen und amourösen Glücks, sondern die Verinnerlichung im Über-Ich, das ein patriarchales bleibt, also u. a. auch ein heteronormatives und monogames. Am Ende dann: der Mann, nun auch von seiner Frau verlassen, der auf einem Autoreifen im Garten schaukelt. Ihm bleibt nur die totale Regression - und die Luftballon-Spermien fliegen in den Himmel.

Ein todtrauriger Ausgang in einem Film, der schon durch seine pure Lust am Sex zuvor mitunter sehr hoffnungsvoll stimmte - darin Jack Devaus kleinem schwulen Porno-Meisterwerk "Left-handed" (1972) artverwandt, das auf dem Hofbauer-Kongress im vergangenen Jahr lief.



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