Donnerstag, 3. Januar 2019

Gewalt(Bilder) und Symbiose

  1. Georg Seeßlen schreibt: “Es sind Bilder der Gewalt, durch die man in unserem Kulturkreis ziemlich früh lernt, sein Vertrauen in die Welt, so wie sie ist, zu verlieren: Sie kommen in “Peterchens Mondfahrt” vor oder in den Religionsfibeln, in denen man Männer sieht, die sich von ihren wallenden Bärten nicht davon abhalten lassen, mit dem Messer auf ihre Kinder loszugehen oder Frauen für weiß der Himmel welche vergehen zu steinigen; sie kommen vor in DUMBO oder THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE.”
  2. Nach dem Mythos des Kugelmenschen, wie ihn Aristophanes in Platos Abendmahl vorträgt, war der Mensch ursprünglich ein kugelrundes “männlich-weibliches” Doppelwesen. Weil er sich aber gegen die Götter auflehnte, beschloss Zeus, ihn in zwei Hälften zu zerschneiden, die dann nach und nach immer weiter modifiziert wurden - bis der Mensch schließlich die Gestalt hatte, wie wir sie heute kennen. Der Eros sei nun der Versuch, diesen Urzustand wieder herzustellen: “aus zweien eins zu machen.”
  3. Freud sagt, dass der Säugling noch keine Trennung von Subjekt und Objekt kenne, seinem Empfinden nach seien er und die Mutter - bzw. deren Brust, die sein wichtigstes Bedürfnis befriedigt - eins. Alle religiösen Vorstellungen nehmen seiner Ansicht nach im Mutterleib und der Stillzeit ihren Ausgang. Otto Rank schrieb 1924 ein Buch über Das Trauma der Geburt, in dem er sich maßgeblich auf Plato und die Kugelmenschen bezog.
  4. Was geschieht nun aber in diesem Mythos psychoanalytisch betrachtet noch? Der Mensch wird bestraft, wird in zwei Hälften geschnitten von den Göttern, die seine Projektionen sind, veräußerlichte Abbilder innerer Ideale und Ängste. Ein brutaler Gewaltakt!
  5. Als Borderliner kenne ich mich mit symbiotischen Beziehungsmustern sehr gut aus: letztlich erwartete ich von allen Menschen um mich herum hauptsächlich, dass sie mich heilen, ganz machen würden: allerdings von meiner Mutter und meinen Sexualpartnerinnen noch etwas mehr als von anderen. (Entschuldigt das Klischee, aber ich bin nunmal mit Leib und Seele Freudianer und oft hatte er wohl schlicht und einfach verdammt nochmal recht. Leider.)
  6. Ich befinde mich gerade in Nürnberg auf dem achtzehnten Hofbauer-Kongress, einem Off-Filmfestival, das (einmal mehr!) cinephil zu preisen, hier nicht der richtige Ort ist. Jedenfalls habe ich dort gestern am ersten Tag zwei Filme gesehen. Aber nur fast, denn den ersten musste ich abbrechen, weil er mir zu nahe ging. Der für sein erotisches Kino bekannte Radley Metzger erzählt in THERESE UND ISABELL (1967) in wunderschönen schwarzweißen Cinemascope-Bildern von der Liebesbeziehung zwischen zwei jungen Frauen in einem Mädcheninternat. Die Beziehung wird immer symbiotischer. Schließlich reflektiert die eine im Voice-Over darüber, was ihr der Sex mit der anderen gibt, der sie, so sagt sie sinngemäß, in einen Zustand wie vor der Geburt versetzt. Dann gibt es einen Dialog zwischen den beiden, in dem es darum geht, ob sie ohne einander leben könnten. Damit war ich raus, denn das war mir, wie gesagt, zu nah. Viel zu nah. (Ich werde ihn mir allerdings bald von DVD nochmal ganz anschauen.)
  7. Der zweite Film des Abends ist eine westdeutsche Produktion von 1979, die unter verschiedenen Titeln firmiert, an denen sich die - ein ums andere mal vergeblichen - Bemühungen ablesen lassen, ihm kommerziellen Erfolg zu bescheren: DIE TOTENSCHMECKER, DER IRRE VOM ZOMBIEHOF, DAS MÄDCHEN VOM HOF. Einerseits folgt der Film einer Eskalationslogik, die mir sehr typisch für das US-amerikanische Genrekino erscheint (auch wenn mir da keine konkreten Beispiele einfallen wollen): im Affekt wird ein Mord begangen, bei dem Versuch, ihn zu vertuschen, laden die Verstuschenden immer mehr Schuld auf sich, stapeln sich die Leichen immer weiter - bis am Ende kaum noch jemand übrig ist. Andererseits ist es aber auch ein sehr bayerischer Film, was über Landschaft, Kleidung und Mundart weit hinaus geht. Um nur ein Beispiel zu nennen spielt der Katholizismus hier eine große Rolle. Es ist dabei aber deutlich einer, der regionsbezogen funktioniert und also grundlegend anders als der bei, sagen wir, Abel Ferrara. Schließlich ist diese Geschichte über Schuld und darüber, wie ihre Vertuschung und Leugnung nur immer mehr Schuld generieren, auch sehr deutlich eine aus dem Deutschland nach 1945. Der erste Mord auf dem Hof, auf dem der Film spielt wird von einem geistig behinderten Stallburschen begangen. Die anderen Männer wissen auf ihre Art, dass er krank ist, anstatt ihn in irgendeiner Art behandeln zu lassen, gibt es Schläge für ihn, wenn er sich mal wieder an einer Frau vergeht. Er bringt eine Frau aus der Gruppe von Sinti und Roma um, die sich in der Nähe niedergelassen hat, und die man schon deshalb verachtet, weil sie nicht katholisch sind. Auf einen Mord eines geistig Kranken im Affekt folgen nun viele, die vermeintlich Gesunde sehr berechnend begehen. Die Liebe eines weiblichen Teenagers vom Hof zu einem männlichen aus der “Zigeuner”-Gruppe vermag es nicht, den Hass und die Gewalt zu transzendieren. Ihr gehört die letzte Einstellung, in der sie schmerzerfüllt in die Kamera blickt, das Bild wird eingefroren und die Credits laufen über ihm ab.
  8. In der Welt, in der wir leben, und die es einem mit all ihrer Gewalt schon manchmal verdammt schwer macht, nicht den Glauben an die Menschen zu verlieren, sollten wir nach gesunden (!) Wegen suchen, mit denen die Liebe den Hass überwinden kann. Symbiose gibt es nicht - und ich denke, dass etwa noch die größte sexuelle Lust nach einem anderen Prinzip funktioniert bzw. funktionieren sollte. Der vergebliche und obsessive Versuch, etwas zu finden, was es nicht  gibt, führt nur zu immer mehr Schuld - wie die Suche der Konquistadoren nach dem El Dorado in Südamerika als historisches Beispiel eindrucksvoll belegen mag. Wege uns zu verbinden und gut zueinander zu sein, gibt es jedoch durchaus. Let's keep on trying!

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